Raw. Rebellious. Real.

Wir trafen den weltberühmten Fotografen und Ikone der Berliner Clubszene Sven Marquardt in der deutschen Hauptstadt zu einem exklusiven Shooting und Interview. Er sprach über kreative Herausforderungen, seinen Arbeitsprozess und warum er trotz der Möglichkeiten der Digitalfotografie niemals auf Film verzichten würde.

Photography Christian Trippe  Location ANTI Berlin

Rock : RAVEMORE BERLIN, Shirt : Adidas x Korn, Blazer : Adidas X Balenciaga, Stiefel : SÖDERBERG, Sonnebrille : Prada


Wie geht's dir heute? Du bist ja gerade aus Mexiko zurückgekommen.

25 Grad Temperaturunterschied. Auf so ein graues, eingeschneites Berlin war ich nicht mehr so richtig vorbereitet, aber ist natürlich klar, Anfang Februar – eigentlich alles ganz normal für Europa.

Deine Bilder haben eine Direktheit und Ehrlichkeit – sie wirken sehr authentisch Kommt das auch dadurch, dass du nur analog fotografierst – ohne viel Bildbearbeitung?
Naja, eine Bildbearbeitung findet ja irgendwie schon statt. In den 80er Jahren haben wir selbst Filme entwickelt und im Fotolabor Abzüge gemacht. Ich glaube die maximale Größe war so 50 x 60 cm. Heutzutage arbeite ich inzwischen mit ganz unterschiedlichen Formaten und auch Großformaten. Also somit bin ich natürlich mit der analogen Fotografie auch dann im digitalen Zeitalter und das ist auch ganz toll. Ich stehe manchmal vor 2 x 3m großen Bildern und denke „Wow, was man alles so aus diesem analogen Negativfilm machen kann. Irgendwie toll.“ 

“Es ist so ein krasser Unterschied, ob ich durch die analoge Kamera gucke oder auf den digitalen Bildschirm. Es ist so eine ganz andere Empfindung, eine ganz andere Aura.”

Ich habe vor zwei, drei Jahren das erste Mal auch angefangen, Videos ein bisschen zu drehen und habe das dann mit dem iPhone gemacht und parallel irgendwann dann „Stop!“ gesagt, „Und jetzt machen wir noch analog.“

Also ein bisschen auch wie bei uns heute in deinem Shooting. Ich weiß nicht, ob du das auch so empfindest, aber es ist so ein krasser Unterschied, ob ich durch die analoge Kamera gucke oder auf den digitalen Bildschirm. Das schon Wahnsinn. Es ist so eine ganz andere Empfindung, eine ganz andere Aura.



Wobei ich glaube, wir werden nie wirklich sehen, dass du komplett digital fotografierst, oder?
Nee, auf keinen Fall. (Lacht) Es gab mal irgendwann, circa 2000, wo irgendwie Filme auch weniger wurden. Ich habe mir dann gedacht, wenn es dann keine Filme mehr gibt, dann muss ich aufhören. Und jetzt bin ich nun schon ein paar Tage älter und bin total froh, dass es noch Filme gibt. Und gerade halt 400er von Kodak und auch noch hochempfindlichere. Ich arbeite ja nur mit Tageslicht.

Und benutzt du immer die gleiche Kamera?

Ich habe eine Nikon FM2, ich habe drei oder vier Bodys.

Was ist die letzte Kamera oder Equipment, das du dir gekauft hast?
Ich glaube irgendwie ein neues 50mm Objektiv nochmal zusätzlich gekauft. Ich habe ja immer gedacht, die sind unverwüstlich, aber ich hatte ein Shooting und das tatsächlich auch in New York und hab die Filme abgeholt aus dem Labor. Die meinten irgendwas ist nicht in Ordnung. Auf jeden Fall war der Verschluss hinten rausgerissen, hat der mir in der Kamerareparatur gesagt und das hat dann verhindert, dass das ganze Bild belichtet wurde. Also es war nur bei einem Film und nur ganz zum Schluss, aber es war ziemlich dramatisch, wenn das mit dem ganzen Shooting passiert wäre.


“Es gab mal irgendwann, circa 2000, wo irgendwie Filme auch weniger wurden. Ich habe mir dann gedacht, wenn es dann keine Filme mehr gibt, dann muss ich aufhören.”


Wie bereitest du dich auf deine Shoots vor?
Na, sehr ausführlich tatsächlich. Ich hab in drei Wochen ein Shooting, ein Editorial Cover Shooting. Gleichzeitig ist es noch Winter, es wird in Berlin fotografiert, und das Wetter ist immer eine riesige Challenge. Eine Sache, die ich nicht ändern kann. Also ich muss alles so drumherum bauen, dass es ‚worst case‘ trotzdem an diesem Tag funktioniert. Ich habe ein relativ kleines Team – Hair, Make-up. Styling und Fashion kommt oftmals dann auch vom Kunden und einen Assistenten und wir überlegen Location, schauen uns Sachen an. Ich mache mir Screenshots von Sachen, die ich online irgendwo sehe oder bei Instagram an mir vorbeidüse und denke das könnte ein bisschen die Richtung vorgeben.

Wie gehst du mit Phasen so kreativen Blockaden um? Oder hast du es gar nicht?

Nee, zum Glück in den letzten Jahren nicht. Die waren, glaube ich, auch meine kreativsten Jahre. Vielleicht ist das auch irgendwie eine Form von Rausch, weiterzumachen, was Neues, neue Ideen, neue Projekte. Ich fühle mich wohler, wenn die an mich herangetragen sind, weil ich auch mehr und mehr immer konzeptionell arbeite und gerne auch mal eine große Überschrift habe. Kreative Blockaden habe ich zum Glück nicht gehabt in den letzten Jahren.

Ja, aber ich hatte die tatsächlich früher. In der Zeit, in der ich viel gefeiert habe, viel im Rausch war. Die unkreativste Fotozeit, ich möchte diese andere Zeit überhaupt nicht missen, war mega, aber ich habe keine Fotos gemacht, es war nicht da. Und ich finde Rausch auch immer noch eine tolle Sache für mich in meinem Leben, nur einfach nicht nur, sondern da ist auch einfach arbeiten, Projekte, Ausstellungen, Fotos machen, Klamotten kaufen.



“In der Zeit, in der ich viel gefeiert habe, viel im Rausch war. Die unkreativste Fotozeit, ich möchte diese andere Zeit überhaupt nicht missen, war mega, aber ich habe keine Fotos gemacht, es war nicht da.”



Hast du einen Lieblingsfotografen?

Ich glaube, so ein ganz früher Einfluss war auch damals in den 80er Jahren, wir lebten in Ost Berlin, ja wirklich schon ziemlich weit weg von all dem Zeitgeist, der gerade war. Als ich die ersten Bildbände von großen westdeutschen Fotografen sah oder geschickt bekam, von Robert Mapplethorpe, war das schon irgendwie was, wo ich dachte, „Alter, was es alles gibt auf der anderen Seite!“. Und dann gab es Herbert Tobias, den ich in der Zeit ganz toll fand. Also einer meiner liebsten Porträtfotografinnen war Sibylle Bergemann, eine ostdeutsche Fotografin, die vor einigen Jahren gestorben ist, die so tolle melancholische Modefotos gemacht hat. Natürlich liebe ich auch Peter Lindbergh, also wer nicht, ist ja wirklich fantastisch. Ich mag im amerikanischen Markt von Commercial und Fashion tatsächlich auch Steven Klein, ist sowas komplett anderes, aber schon sehr stark und sehr sexy, kraftvoll.

Hast du ein Lieblingsbild?
Nicht direkt, aber ich glaube, dass sowas auch wechselt ein bisschen, oder? Ne, ich habe sowas auch nicht als Bildschirmschoner, aber ich habe viele Fotos zu Hause zu hängen.



Gibt es ein nicht-fotografisches Medium, dass dich reizt, um dich kreativ auszudrücken?

Ich hatte 2014 zusammen mit einer Co-Autorin die Möglichkeit eine Autobiografie zu schreiben. Da ich aber auch kein Autor bin, war auch die Co-Autorin sehr wichtig. Es hat für den Zeitraum Spaß gemacht, wäre aber auch nicht was für mich. Das war einmal und es war auch toll dass ich es machen konnte. Ich bin mit Fotografie schon irgendwie sehr happy.

Auch bis heute ist Clubkultur natürlich auch als Basis eine große Inspiration gewesen, und wenn ich so darüber nachdenke, auch eine Weiterführung dieser Punk/New Wave Zeit im Osten. Das ist für mich nach dem Mauerfall die Clubkultur geworden. Also die ganzen Leute von Queer über Fetisch, sich alle auf einmal zusammengepackt haben. Dadurch bin ich jetzt in meinem Alter dadurch natürlich auch mit einer Generation ‚connected‘, denen würde ich sonst ja gar nicht mehr begegnen.

Ist fotografieren für Dich heutzutage anders als vor 30 Jahren?
Ne, also ja, es ist ein total anderer Zeitgeist mit ganz anderen neuen Projekten. Ich habe damals so Underground Mode fotografiert, bis hin zu so einer klassischen Modezeitung, die hieß Sibylle, wo es ganz toll war, dass ich da als junger Punk/New Wave Typ zur damaligen Zeit für die arbeiten durfte. Und heute sind es andere Auftraggeber, aber wieder so, „Wir haben eigentlich gar kein Geld, uns so ein Fotografen leisten zu können“. Und ich mache das aber total gerne. Natürlich auch gerne mal für einen großen Auftraggeber. Und für mich ist es so in so einer Welt geblieben. Mich hat Mode damals schon inspiriert. Meine Bilder waren schon immer inszeniert. Ich sehe mich trotzdem auch nicht als den klassischen Modefotografen, aber es spielt Styling schon immer eine Rolle.

Wir ist dein Prozess nach einem Shoot?

Wenn die Filme aus dem Labor kommen, dann sind die schon gescannt und dann mache ich eine ‚Preselection‘ von meiner Arbeit und was später mal der Kunde, die Artists bekommen. Und mit den Rohscans gehe ich dann noch mal zu jemandem aus dem Labor zur Bildbearbeitung. Der kennt meine Arbeit natürlich ganz gut. Wir sitzen dann vorm Rechner und machen ich den Feinschliff. Aber das ist es, da gibt es keine Beauty Korrekturen, also sondern einfach nur wirklich eine Anpassung der Kontraste oder bei Farben entsättigen.


“Ich war nie der Fotograf, der Promis hinterherrennt – interessiert mich nicht wirklich.”


Gibt es im Moment einen Fotografen oder einen Trend, der dir gefällt und den du spannend findest?

Ich finde toll, dass auch die neue Generation auch dann wieder auch analog konsequent arbeitet, egal um welchen Preis. Ich mag im Moment auch Vitali Gerwich, einen Berliner Fotografen den ich wirklich für seine Arbeitsweise und den Aufwand seiner Produktionen bewundere – der ist so die nächste Generation von Fotografen. Den finde ich wirklich toll.

Gibt es jemanden, mit dem du gerne zusammenarbeiten würdest

Ich war nie der Fotograf, der Promis hinterherrennt – interessiert mich nicht wirklich. Also wenn sich das so durch ein Projekt dann klar, ist das cool. Aber ich finde ansonsten spielt es für mich nicht wirklich eine Rolle.

Was ist der Plan für dieses Jahr? Ist da irgendwas, was du uns schon verraten kannst?

Wir planen gerade eine doch sehr klassische Ausstellung in Neapel. Das ist auch schon der zweite Anlauf. Vor der Pandemie waren wir schon mal zur Location Besichtigung dort. Jetzt gehen wir es zum zweiten Mal an, in der Hoffnung, dass es jetzt klappt. Ich freue mich schon total drauf.

Super, wir freuen uns auch. Danke.


Mantel + Hosen : NAMILIA , Shirt : Balenciaga + Haderlump, Handschuhe : Zara Man, Sonnenbrille: Balenciaga, Stiefel : Mexico original 


Um mehr von Sven’s Arbeiten zu sehen, folgt ihm auf Instagram.

Team credits

Photography Christian Trippe
Location Anti Berlin


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